SO MANY WAYS – KARIM

33 Jahre, aus Stuttgart, Deutschland 

So Many Ways; Vanlife; 2022; Portugal; Teneriffa; travel; lifestyle; van; camper; lebensgeschichten; life stories; Saskia Uppenkamp; Portrait; Fotograf; Fotografin; Berlin; Friedrichshain; Studio; On Location; Reportage

Alles, was du kaufst, kaufst du nicht mit Geld, sondern mit deiner Zeit. Wenn du in den Laden geht’s und einen Fernseher kaufen willst und dort steht nicht, dieser Fernseher kostet 3000 Euro, sondern dieser Fernseher kostet dich 2 Monate deines Lebens, weil du 2 Monate dafür arbeiten musstest, um da Geld zusammenzubekommen, dann sieht es schon ganz anders aus. Ich war am Nordkap, hab’ Polarlichter gesehen, der Mond verändert das Meer, ein Feuerball erhitzt die Erde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir auf der Welt sind, um zu arbeiten und Rechnungen zu bezahlen! Wir brauchen Schlaf, wir brauchen Essen und gute Menschen um uns herum. Alles andere ist relativ und vergänglich.“ 

So Many Ways; Vanlife; 2022; Portugal; Teneriffa; travel; lifestyle; van; camper; lebensgeschichten; life stories; Saskia Uppenkamp; Portrait; Fotograf; Fotografin; Berlin; Friedrichshain; Studio; On Location; Reportage

„Für mich bedeutet das Leben im Van Freiheit. Sobald es mir nicht mehr gefällt, geht es einfach weiter. Ich versuche, immer so zu stehen, dass ich mit Meerblick einschlafe und mit Meerblick aufwache, und wer kann sich schon überall auf der Welt eine Wohnung mit Meerblick leisten!“

Karim – Playa Las Americas, Teneriffa
33 Jahre, aus Stuttgart, Deutschland

Karim sagt, wenn er den Menschen beschreiben müsste, der er vor ein paar Jahren gewesen ist, würde er sich selbst als ’fancy-komsumgeiler-will-allen-gefallen-Typ’ betiteln. Hätte ihm jemand vor ein paar Jahren gesagt, dass er heute mit seinem Hund in einem Bus lebt, er hätte sich wohl tot gelacht.

Als Jugendlicher war er der typische Rebell, der Scheißebauer, die Schule schließt er nur mit einem Hauptschulabschluss ab. Eine Lehrerin, die trotz allem an ihn glaubt, hilft ihm bei einer Bewerbung für eine Friseurausbildung bei einer größeren Kette. Der Beruf liegt ihm, er wird sehr schnell sehr gut. Im Anschluss an seine Ausbildung absolviert er eine Trainerausbildung, schulte deutschlandweit, kauft schon mit 22 Jahren seinem Chef den Friseurladen ab. Er leistet sich einen exklusiven Lifestyle, fährt Porsche. Die Eröffnung des zweiten Ladens folgt. Hier läuft es nicht so rund, wie Karim es bislang gewohnt ist. Der zweite Laden geht pleite, Karim hat 250.000 € Schulden. Seine Wohnung und Auto sind weg, er muss mit 26 Jahren wieder bei seinen Eltern einziehen. Viele seiner engen Freunde unterstützen ihn während dieser Zeit.

Mit Ende zwanzig eröffnet er seinen dritten Laden, diesmal mit neuem Konzept. Er selbst legt sich ein Verdienst-Fixum fest, alles darüber hinaus geht über Umsatzbeteiligung an die Mitarbeiter, die Motivation ist ungleich höher als in jedem anderen Friseurgeschäft. In seinem ersten Laden ist er zu der Zeit nur noch stiller Teilhaber und für die Buchhaltung zuständig. Karim merkt, dass er immer weniger Lust hat, Verantwortung zu übernehmen. Er hat nie ganz den Kopf frei, lebt ein Leben im Tunnel. Immer dieses Gefühl, da muss noch mehr gehen, mehr Geld verdient werden, ein Fass ohne Boden. Er arbeitet in den Jahren sehr viel, in der wenigen freien Zeit feiert er dafür umso härter. Sein Partner legt ihm irgendwann nahe, mal ein, zwei Monate eine Auszeit zu nehmen.

Karim kauft sich seinen ersten kleinen Bus, schmeißt eine Matratze rein und fährt nach Spanien. Morgens bei Sonnenaufgang, als sein Hund am Strand durchs Wasser tobt und er Thunfisch aus der Dose isst, realisiert er, dass ihn genau dieser Moment zum glücklichsten Menschen auf der Welt macht. Und es kostet ihn genau: nichts. Ihm wird klar, dass ihn sein Leben in Deutschland nicht zufrieden macht, obwohl er alles hat, was gesellschaftlich angesehen ist. Karim fasst den Entschluss, nach Deutschland zurückzukehren, Geld zu sparen, um dann für längere Zeit abzuhauen.

Er arbeitet wieder, kauft einen großen Van und baut diesen selbst aus. Er spart 10.000 Euro, dann 20.000 Euro, 40.000 Euro, das Gefühl in einer Tretmühle gefangen zu sein, ist zurück. Das Schwere ist, den Schritt aus der Komfortzone herauszumachen. Der Beginn der Pandemie, ist für ihn der finale ‘Tritt in den Arsch’, Deutschland zu verlassen, das Abenteuer zu wagen. Seine Läden müssen schließen. Er hatte das Gefühl, dort nicht mehr gebraucht zu werden.

Nachdem er einige Zeit unterwegs ist, meldet sich sein Partner und fragt, ob er vorhat, nach Deutschland zurückzukehren oder ob er seine Anteile am Laden verlaufen möchte. Erst ist er irritiert, fühlt sich aus seinem eigenen Business herausgedrängt, doch er merkt schnell, das Geschäft ist das Letzte, was ihn aus seinem alten Leben noch belastet. Er verkauft die Anteile am ersten Laden, gibt auch die Verantwortung im dritten Laden ab. Das Geld investiert er in eine Immobilie, von deren Mieteinnahmen er sein Leben im Van finanzieren kann. Nach jedem Vertrag, den er kündigt, fühlt er sich freier und besser. Nun ist er an einem Punkt, an dem er keine Post mehr bekommt, pure Freiheit, keine Belastungen mehr.

Karim hat begriffen, für ihn ist das Wertvollste, was er hat, seine Zeit. Er sagt, er weiß nicht, ob er heute oder morgen stirbt, aber egal, wie reich er ist, Zeit wird er mit Geld nicht kaufen können. Wenn er Menschen erzählt, dass er auswandert, für immer reisen möchte, trifft das auf Begeisterung. Für ihn war es eine traurige Erfahrung, als er seine besten Freunde nach einer Weile in Deutschland besucht und feststellt, wie reich seine bisherige Reise an tollen, unterschiedlichen Erfahrungen gewesen ist, während seine Freunde immer noch in ihrem Alltagstrott gefangen sind. Zunächst versucht er, sie von seinem Lifestyle zu überzeugen, mit seiner Geschichte zu inspirieren. Aber er merkt, dass diese Entscheidung jeder selbst für sich treffen muss.

Bei Gelegenheit bietet er Menschen, die er während seiner Reise trifft und die ihn beeindrucken, einen Haarschnitt mit Meerblick an. Dafür will er kein Geld, manche laden ihn im Gegenzug zum Essen ein, andere tauschen etwas. Für ihn fühlt es sich so an, als hätte er 100-mal mehr bekommen, als er gegeben hat. Natürlich bleibt im Hinterkopf immer der Gedanke, dass er zurückgehen könnte, wenn er keine Lust mehr auf diese Art zu leben hat: einfach wieder eine Wohnung suchen und einen neuen Laden aufmachen. Momentan ist er glücklich mit allem, wie es ist. Es gibt keinen Plan für die Zukunft.