Rummelsburger Bucht
Die Rummelsburger Bucht ist einer der letzten großen Freiräume Berlins. Der See, gleichzeitig Bundeswasserstraße, grenzt an die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Lichtenberg. Freigeister zieht es in die mitten in der Stadt gelegene Oase. Sie ankern dort dauerhaft mit ihren Booten und selbstgebauten Flößen oder nutzen den See als Sommerresidenz. Auch Investoren haben das Potenzial der Rummelsburger Bucht erkannt. Am Westufer sollen ein Aquarium und Eigentumswohnungen entstehen. Nach mehr als zehn Jahren der Planung wurde dies im Frühjahr 2019 mit der Verabschiedung des Bebauungsplans Ostkreuz besiegelt, der massive Widerstand seitens der BerlinerInnen blieb unbeachtet. Im Juli erging auf der Friedrichshainer Seite der Bucht ein Anlegeverbot. Das vom Berliner Senat beantragte Ankerverbot wurde allerdings vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt abgelehnt. Boote dürfen weiterhin gebührenfrei auf dem Wasser ankern. Ein kleiner Etappensieg für die WasserbewohnerInnen.
Vor 2 Jahren baute Claudius sein Hausboot mit Freunden. Es trägt den Namen ‘Eroberung des Unwahrscheinlichen’. Der Fotograf nutzt das Boot als Studio und Arbeitsraum.
Gregor
»Letzten Sommer bin ich mit dem Fahrrad von Festival zu Festival gefahren und habe dort gearbeitet. Den Winter habe ich in Berlin überbrückt, fand aber immer nur kurzfristig Wohnungen. Ab April war ich wohnungslos und habe im Zweiwochenrhythmus bei Freunden gepennt und in Clubs gearbeitet. Ein Freund hat mir dann erlaubt, auf einem seiner Boote zu übernachten, wann immer ich in Berlin bin. Ein Hauch von Vergänglichkeit liegt in der Luft. Es fühlt sich an wie in Rio Reisers ‘Der Traum ist aus’. Der Traum ist aus und trotzdem kämpfen wir dafür, weiter an ihn zu glauben und ihn zu leben.«
Die israelischen Investoren Benjamin Kahn und Nir Dror planen den Bau des Aquaparks, ein großes Aquarium. Das Gebiet um die Bucht, in dem die meisten Schiffe vor Anker liegen, soll neu gestaltet werden.
Ronny liegt mit seinem Boot beim Bootskollektiv ‘Lummerland’. »Am 27. April 2018, einen Tag vor meinem Geburtstag, habe ich mir mein Boot gekauft. Ich habe fast von Anfang an dort gewohnt. Aber eher unbewusst. Hier bin ich komplett angekommen. Eigentlich ist es auf dem Wasser bei Sturm und Regen ja unsicherer. Aber wenn man sein Boot kennt und weiß wie es funktioniert, hat man ein sichereres Gefühl als an Land. Es kann nicht mal eben die Miete erhöht, eingebrochen oder Eigenbedarf angemeldet werden.«
Ronyor lebt in seinem Zelt in der Gegend um die Rummelsburger Bucht, ohne einen festen Wohnsitz zu haben. Er vergleicht die Bucht mit “Bikini Bottom”, der unheimlichen Unterwasserwelt von “Sponge Bob”, unterhalb des radioaktiven Bikini-Atolls.
Harry mit seinem Hund auf dem Kulturschiff Freibeuter, wo er seine Werkstatt betreibt. Er entwirft Möbel aus alten Einkaufswagen. Seit das Kulturschiff geräumt wurde, hat er keine Werkstatt mehr.
Ali: „Nach einer stressigen Skatetour habe ich das erste Mal bei meinem besten Freund Ronny eine Nacht auf seinem Boot geschlafen. Ich habe dort so eine Ruhe gespürt, die ich auf dem Land nicht habe, dass ich dachte: Ich brauche auch ein Boot! Am 1. Oktober 2019 habe ich mein erstes Boot gekauft. Jetzt lebe ich seit einem Monat hier, meine Wohnung habe ich untervermietet bis Dezember. Dann werde ich wahrscheinlich erst mal zurück über den Winter, denn auf dem Boot wird es jetzt schon richtig kalt.“ Wenn Ali nicht auf seinem Boot ist, betreibt er mit Freunden eine Skatehalle in Lichtenberg und gibt Skate Workshops an Schulen.
‘Kulturschiff Freibeuter’
Das alte Frachtschiff wurde von verschiedenen Kulturinitiativen und Künstlern als Begegnungs- und Arbeitsraum genutzt. Seit Oktober 2018 war das Schiff besetzt, um gegen die geplante Zerstörung zu protestieren. Im Frühjahr 2019 wurde das Schiff geräumt und aus der Bucht geschleppt.
„Wenn du auf’s Wasser gehst, lass die Zeit an Land“
Marius ist der Erfinder von ‚Wunstkunst‘, alte Zigarettenschachteln, die mit Kleinkunst befüllt sind. Diese kann man an ausgedienten Zigarettenautomaten, welche unter anderem in Berliner Clubs oder am Hackeschen Markt stehen, erwerben. Er lebt seit 4 Jahren auf einem Boot in der Bucht. Die Lucky Star ist sein 2. Boot, nachdem sein Erstes bei einem Feuer auf ‚Lummerland‘ abgebrannt ist. Er hat es durch einen Facebook – Spendenaufruf unter Freunden finanziert. So hat es keine 2 Monate gedauert, bis er ein neues Boot kaufen konnte.
Zoltan lebt mit seinen beiden Hunden und 8 Welpen auf seinem Hausboot “Villa Kunterbunt”, das an dem Uferbereich ankert, wo der Park des Aquaparks enden wird. Er ist der Initiator der Kälte-Nothilfe Berlin. “Win! Ich habe den Nagel auf den Kopf getroffen. Zwischenzeitlich gab es über den Bundestag den erfolglosen Versuch ein Ankerverbot einzurichten, weil die oberste Schifffahrtsbehörde gesagt hat, dass es zu gefährlich wäre. Es macht mir fast Gänsehaut, dass die auf den Punkt gebrachte Aussage ‘Seerecht schlägt Gentrifizierung’ sich ein Jahr später schon bewahrheitet hat.”
Interviews & Text: Masha Slawinski & Saskia Uppenkamp